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Dienstreise über den Roten Planeten

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erschienen in: Süddeutsche Zeitung, Mai 2010

Seit sechs Jahren steuert der Ingenieur Frank Hartman den Rover “Opportunity” von Pasadena aus über das raue Gelände auf dem Mars.

Um seinen Dienstwagen dürften Frank Hartman sehr viele Menschen beneiden. Das Gefährt, das der Amerikaner Tag für Tag pilotiert, ist zwar schon etwas klapprig. Es ist weder schnell noch besonders neu, und wirklich windschnittig sieht es auch nicht aus. Dafür hat es einen entscheidenden Vorteil: Es rumpelt über einen anderen Planeten.

Frank Hartman ist “Mars Rover Driver”. Er gehört zu den wenigen Auserwählten, die Spirit und Opportunity, die beiden Rover der US-Raumfahrtbehörde Nasa, über den Roten Planeten lenken dürfen. Das Zwillingspärchen ist dort seit mehr als sechs Jahren unterwegs. Und auch wenn sich Spirit mittlerweile hoffnungslos festgefahren hat und Opportunity immer mehr Alterswehwehchen offenbart, gehören die Rover doch zu den großen Erfolgsgeschichten der Nasa. Gerade erst hat Hartman mit seinem Schützling Opportunity die 20-Kilometer-Marke geknackt.

“Opportunity überrascht uns jeden Tag aufs Neue”, sagt Frank Hartman, “und sei es nur, weil er noch immer fährt.” Der Ingenieur spricht ruhig und überlegt. Er ist – auch wenn die Lederjacke einen anderen Eindruck vermittelt – kein Draufgänger, kein rücksichtsloser Fahrer. Schon im Januar 2004, als Opportunity von seiner Landefähre rollte, saß Hartman am Steuer. Wobei “Steuer” der falsche Ausdruck ist: “Es ist nicht so, dass wir Opportunity von der Erde aus mit einem Joystick lenken”, sagt der Rover-Chauffeur.

Allein schon die Entfernung verbietet das: Ein Kommando braucht im Schnitt 20 Minuten, bis es den Mars erreicht; die Rückmeldung von dort dauert noch einmal so lang. Jeden Morgen geben die Fahrer den Robotern daher die Marschrichtung für die nächsten Stunden vor. Die Rover drücken aufs Gas, halten sich an die gewünschte Route und melden am Ende des Tages Vollzug.

“Das klingt leichter, als es in der Praxis ist, schließlich gibt es auf dem Mars keine Vogelperspektive”, sagt Hartman. Wenn der 44-Jährige morgens in sein Büro am Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena kommt, setzt er daher als Erstes eine 3-D-Brille auf. Er öffnet die Bilder, die Opportunitys Stereokamera als Letztes übertragen hat, und taucht in die Szene ein. Nach und nach ergibt sich so ein Bild von der Situation in 170 Millionen Kilometern Entfernung. “Man sieht Unebenheiten, Krater, Steine – alles sticht hervor”, sagt Hartman. “Und ganz nebenbei hat man es mit Bildern zu tun, die kein Mensch zuvor gesehen hat. Das ist wirklich nett.”

Parallel dazu analysiert eine eigens entwickelte Software die von Opportunity übertragenen Stereoaufnahmen. Im Computer entsteht ein dreidimensionales Modell der Marsoberfläche. Auch Aufnahmen des Mars Reconnaissance Orbiters, der den Planeten in knapp 300 Kilometern Höhe umkreist, fließen in Planung und Simulation ein. All das soll helfen, Hindernisse zu erkennen und eine möglichst gefahrlose Route zu entwerfen. “Erst wenn man ein gutes Gefühl für die Situation entwickelt hat, kann man auch eine brauchbare Sequenz programmieren”, sagt Hartman. Dann heißt es abschicken – und warten.

Bis zu 220 Meter pro Tag legen die Entdecker im Idealfall zurück. Manchmal, wie vor wenigen Tagen, als Opportunity in einer scharfen Kurve feststeckte, als die Räder durchdrehten und die Stromstärken in die Höhe schnellten, sind es auch nur wenige Zentimeter. Im Schnitt bringen es Hartman und sein Rover aber auf etwa 70 Meter. “Gerade sind wir in einer sehr sandigen Gegend, da müssen wir besonders achtsam sein”, sagt er.

Nicht immer waren die Fahrer so vorsichtig. Vor einigen Jahren kommandierten sie Opportunity in eine Sanddüne. Der 185 Kilogramm schwere Roboter blieb stecken, spulte aber tapfer sein vorgegebenes Fahrprogramm ab – und grub sich dadurch nur noch tiefer ein. “Es kann einem ziemlich auf den Magen schlagen, wenn man morgens die Bilder öffnet und seinen Rover tief im Sand versunken vorfindet”, sagt Hartman. “Ganz besonders, wenn man der Kerl war, der ihn da reingefahren hat.”

In einem Sandkasten am JPL, der immer in haarigen Situationen herangezogen wird, spielten die Ingenieure das Missgeschick dann nach. Sie standen knöcheltief im Talkumpulver – einer mehligen Substanz, mit der sie die Bedingungen auf dem Mars simulieren. Sie suchten nach einer Lösung. “Wenn man sich durch unüberlegte Manöver noch weiter eingräbt, hilft einem dort oben keiner mehr raus, erst recht kein Abschleppdienst”, sagt Hartman. “Fegefeuer” tauften die Fahrer die verhängnisvolle Düne. Sie befahlen ihrem Rover, zehn Meter zu fahren, er bewegte sich einen Millimeter. Beim nächsten Mal waren es zwei. Nach vielen Wochen entkam Opportunity dann doch der sandigen Falle.

Sein Zwillingsbruder Spirit hatte nicht so viel Glück. Im vergangenen Mai blieb der Roboter im unerwartet weichen Marsboden stecken. Alle Simulationen, alle Tests, alle Kommandos halfen nichts. Ende Januar mussten die Rover-Fahrer aufgeben. Sollte Spirit den heraufziehenden Winter auf dem Mars überleben, wird er als stationäre Forschungsplattform weiterarbeiten. Im Sandkasten in Pasadena steht noch immer sein Modell – genauso geneigt und eingegraben wie auf dem Mars. Der bei den Tests aufgewirbelte Sand hat sich auf die Solarzellen gelegt. Ein staubiges Mahnmal.

Auch Oppy, wie die Nasa-Ingenieure ihren außerirdischen Geländewagen nennen, ist nicht mehr richtig fit. Die Schulter schmerzt, der Roboterarm ist steif. Im vorderen rechten Rad warnt der Elektromotor immer öfter vor erhöhten Stromstärken – kein gutes Zeichen. “Es ist wie bei den Menschen”, sagt Hartman und lacht, “im Alter werden die Gelenke steifer, aber dafür wird der Verstand immer schärfer.” Vor wenigen Wochen haben die Entwickler ihrem Rover zum Beispiel eine Software spendiert, mit der er Bilder eigenständig analysieren und interessante Objekte ausmachen kann. Opportunity könnte sogar auf eigene Faust losfahren und dabei Hindernisse umkurven. Dem steht allerdings nicht nur der Stolz der Rover-Fahrer entgegen, sondern auch Oppys schlechter Gesundheitszustand: Um das schwächelnde Vorderrad zu schonen, schickt Hartman seine Maschine derzeit gerne rückwärts über den Mars. Das aber funktioniert nur mit vorgegebenen Kommandos.

Opportunitys Nachfolger wird da deutlich flexibler sein. Er heißt Curiosity und wird gerade in einem Reinraum am JPL auf seinen Start vorbereitet. Das Gebäude ist so groß wie eine Turnhalle, überall werkeln Ingenieure an Curiositys Komponenten. Sie tragen weiße Ganzkörperanzüge. Nur ihre Augen sind zu sehen. Um zu erahnen, dass aus den unzähligen Einzelteilen eines Tages ein Rover werden wird, braucht es derzeit noch viel Phantasie. Trotzdem soll es im Oktober kommenden Jahres losgehen. Aber selbst wenn Curiosity dann deutlich intelligenter als die heutigen Rover sein wird, braucht er noch immer Chauffeure.

Ob Hartman auch wieder dazugehört? Der Ingenieur schweigt. Er windet sich. Irgendwie wären solche Spekulationen unfair seinem Partner Oppy gegenüber. Schließlich gibt der auf dem Roten Planeten noch immer sein Bestes.

90 Marstage sollte Opportunitys Mission ursprünglich dauern. Inzwischen sind weit mehr als 2000 Tage daraus geworden. Viel hat sich seitdem verändert. Frank Hartman hat eine Tochter bekommen, andere Missionen wurden gestartet, das Rover-Programm beinahe eingestellt. Doch Hartman ist seinem zähen Freund immer treu geblieben. “Wäre Opportunity eine stationäre Landesonde, hätte ich wahrscheinlich längst das Interesse verloren”, sagt er. “Doch mit dem Rover sind wir Entdecker, wir kundschaften Tag für Tag einen unbekannten Planeten aus.”

Hartman, der Ingenieur, der eigentlich keine Emotionen zulassen will, klingt auf einmal doch leicht sentimental. Er erzählt, wie stolz er ist, dass er seiner dreijährigen Tochter selbstgemachte Bilder vom Mars zeigen kann. “Wahrscheinlich glaubt sie, ich würde dort tatsächlich herumfahren”, sagt er. Er erzählt, dass er seine Spuren auf einem anderen Planeten hinterlässt und dass sie dort für Jahrtausende bleiben. “Das ist klasse und unheimlich befriedigend.”

Wie lange wird das wohl noch so weitergehen? “Irgendwann haben wir aufgehört, Vorhersagen über Opportunitys Zukunft zu machen”, sagt Frank Hartman. Gedanken über das Ende verbieten sich von selbst. Hartman und sein Partner auf dem Mars genießen einfach jeden Meter dieser außergewöhnlichen Dienstfahrt.

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